Vorweg geschickt: Wenn der unbedarfte Laufeinsteiger in der Fachliteratur zum Thema Lauftechnik liest, dann findet er in zehn Quellen geschätzte 15 Wahrheiten über die richtige Lauftechnik. Es ist ein Graus! Der eine sagt, man müsse auf dem Fußballen aufkommen (Vorfußtechnik), ein anderer schwört, dass die kenianischen Buschmänner auf dem Mittelfuß landen und deshalb so schnell und ausdauernd sind, während ein dritter dazu rät, alles zu ignorieren und einfach so zu laufen, wie man eben läuft, was in der Regel bedeutet, dass man krachend auf der Ferse landet.
Ja was denn nun?!
Bereits im Herbst 2015 wagte ich mich an das Thema Lauftechnik heran und absolvierte forsch einen 10-Kilometerlauf lustig beschwingt auf Zehenspitzen, just nachdem ich das Buch natural running: Schneller, leichter, schmerzfrei von Dr. Matthias Marquardt gelesen hatte. Was soll ich sagen? Der darauf folgende Muskelkater war episch und hielt vier Tage an, verhagelte mir dabei beinahe den Wettkampf Nr. 3 meiner Karriere beim Weißenhorner Altstadtlauf. Damit war das Thema „ich renne wie eine Gazelle“ erst einmal ad acta.
Aber nur solange, bis ich im Mai diesen Jahres den Bestseller Born to Run von Christopher McDougall gelesen hatte. Vielleicht sollte ich generell die Finger von Büchern lassen, die mir etwas von natürlicher Lauftechnik weismachen wollen, denn ich war Feuer und Flamme und hatte hier schwarz auf weiß den Beweis dafür, dass ich völlig falsch laufe und ich gar nicht anders kann, als mit chronischen Knie- und Gelenkproblemen als Laufinvalide zu enden. Weg mit all der Dämpfung in überteuerten Hightech-Schuhen aus nicht-nachhaltiger Produktion in Asien, her mit dem völlig natürlichen Barfußlauf !
Es war alles so logisch: Die Natur hat uns (in Jahrhunderttausenden) so geschaffen, dass wir perfekt auf unser Habitat adaptiert sind. Unter anderem hat sie uns ein Fußgewölbe geschenkt, das wie die Feder einer LKW-Aufhängung funktioniert. Da wir modernen Menschen aber zeitlebens in Schuhen stecken, die unsere Füße schonen sollen, kommen wir gar nicht mehr dahin, ideal trainierte Füße zu haben, weshalb Verletzungen vorprogrammiert sind, da wir Tätigkeiten ausüben, die nichts mit unserem ursprünglichen Dasein der Jäger & Sammler (damit sind weder Pickup-Arts noch Briefmarkensammeln gemeint) zu tun haben.
Nun gänzlich überzeugt, dass meine läuferische Zukunft nur im Barfußlaufen liegen könne, stürmte ich los und kaufte mir drei neue Paar Schuhe, allesamt mit einem eigenen Konzept:
Dermaßen top ausgestattet begab ich mich Mitte Juni ins Barfußlauf-Trainingslager. Ich hatte all die Warnungen derjenigen, die es besser wissen, vernommen, und absolvierte nur leichte und kurze Trainingseinheiten mit den neuen Schuhen. Somit wechselte ich immer durch: Meine Tempoeinheit, die zwei Dauerläufe zur Grundlagenausdauer (GA1), sowie den langen Lauf am Wochenende absolvierte ich in den üblichen, gedämpften Verdächtigen, während ich die Regenerationsläufe dazwischen immer abwechselnd in den Vibram, Merrell oder Nike Free lief. Diese Läufe dann aber ganz gezielt in … naja, anfangs einer Mischung aus Vorfuß- und Mittelfußtechnik; soll heißen: Ich lief nicht komplett auf Zehenspitzen, landete aber auch nicht mit flachem Fuß am Boden. Aber immerhin gelang es mir, nicht mehr auf der Ferse zu landen.
Das ging den ganzen Juni über. Und was soll ich sagen? Es lief gut. Weder hatte ich Probleme beim Wechsel zwischen „Normallauf“ und Barfußlauf, noch gab es Schwierigkeiten mit dem Barfußlauf als solches. Zwar war ich recht schnell von dem ungemein aufwendigen Anziehprozedere der Vibram FiveFingers® genervt, denn bis man jeden einzelnen Zeh in der für ihn vorgesehenen Zehenbox geschrubbelt hat, kann schon ein Weilchen vergehen. (Ich habe es gestoppt und benötigte – geübt! – 82 Sekunden für beide Schuhe.)
Aber es wurde „schlechter“. Auf Nicht-Asphalt, also auf geschotterten Wegen, fühlten sich die Vibram und Merrell nicht wirklich gut an. Jedes Steinchen spürte ich, größere Steine oder harte Wurzeln verursachten gar heftigen Schmerz beim darauf Landen. Klar, durch die Serengeti zu joggen ist ja auch nichts für Weicheier wie mich, schon klar.
Gegen Ende Juni ergab sich ein weiteres Problem: In den Merrell und in den Nike Free lief ich ohne Socken – in den Vibram ohnehin -, weil dumme Socken nicht nur dem Konzept von „barfuß“ irgendwie widersprechen, sondern es auch Sommer und entsprechend warm war. Durch das vorne auf dem Fuß landen, vollzieht jener aber auch eine Bewegung nach vorne im Schuh beim Abdämpfen, was mir als völlig normal erscheint. Durch dieses stete nach vorne Abfedern im Schuh, ergaben sich aber aufgrund der Reibung von Fußhaut an den Innenseiten der Schuhe Blasen und Abschürfungen, die selbstredend von Lauf zu Lauf immer schlimmer wurden.
Doch ich blieb hartnäckig dabei, auch den August über. Ich hatte mich auch schon so sehr an das vorne am Fuß Landen gewöhnt, dass ich ab Anfang August nur noch in dieser, wie soll ich sagen?, Vorfuß-Mittelfußtechnik lief – selbst in normalen Dämpfungsschuhen. Und dachte, ich hätte es, das sei nun der Punkt meiner Entwicklung, in der ich von der verletzungsanfälligen Ultrashuffle-Schnecke zum weißen Kenianer mutiere. Ich spürte dieses helle Leuchten aus mir, vernahm einen glockenhohen Klang … Dann holte mich die Realität ein …
Zuerst bei einem regionalen Wettkampf über 10 Kilometer, dem 16. Ludwigsfelder Illerlauf. Das war meine erste Laufveranstaltung, die ich komplett in dem für mich typischen Hybrid aus Vorfuß- und Mittelfußtechnik absolvierte. Und ich war (für meine Anfängerverhältnisse) richtig schnell mit einer Endzeit von 47:14 bzw. einer Pace von 4:48 Minuten pro Kilometer. Doch ziemlich bald darauf folgte eine sehr schmerzhafte Zerrung (vermutlich), die sich von der rechten Leiste über den oberen Oberschenkel bis fast zum Knie erstreckte und weiteres Training unmöglich machte. Hatte ich übertrieben, hatte ich zu viel Tempo gemacht und meine Körper überfordert?
Gar nicht daran denken: Schon zehn Tage darauf war ich wieder auf der Strecke und erklärte vollmundig, ich hätte daraus gelernt.
Pfeifendeckel, denn nur wenige Tage später – gerade einmal vier Wochen vor meinem Marathon Nr. 2 – meinte ich beim Vorbereitungslauf meines Laufvereins ASC Ulm/Neu-Ulm, ich müsse den Long Jog von 31 Kilometern ebenfalls auf dem Fußballen rennen und hüpfte in dieser naiven Manier jugendlich ungestüm mit einer 6er-Pace hinter dem Zugläufer her, als wäre mein zweiter Vorname Kipchoge. Die Blasen an den Innenkanten meiner Füße waren zwar vorsorglich getaped, aber bereits ab der Halbmarathon-Distanz wurde es bitter. Die Blasen brannten wie Feuer, ab Kilometer 28 gesellten sich noch stechende Schmerzen am rechten Knöchel und in der Hüfte dazu, weshalb mir gar nicht mehr anderes übrig blieb, als betont über die Ferse abzurollen, um einen Ausgleich zu schaffen für die Belastung davor und letztlich relativ schmerzfrei ins Ziel zu schlurfen.
Nach dem Ausziehen der Socken zeigte sich eine herrliche Blutblase an der Außenseite des linken Fußballens und mir war klar, dass ich die Reißleine ziehen musste, wollte ich in weniger als vier Wochen die 42,195 Kilometer auch bewältigen.
Mag sein, dass Barfußlaufen die natürliche Art und Weise ist, in der wir Menschen laufen sollten. Mag sein, dass das auch vor Verletzungen schützt, während das Laufen in gedämpften Schuhen eher zu Verletzungen führt. Mag auch gerne sein, dass gute Läufer dynamisch vorne landen und somit sowohl die bremsende Wirkung beim Landen auf der Ferse vermeiden, als auch die Vorwärtsbewegung des federnden Fußgewölbes nutzen. Jaja!
Ich, oder vielleicht auch nur meine Füße, taugen (noch) nicht für diese höheren Weihen. Sicherlich war es auch recht blöde, ausgerechnet während einer Marathon-Vorbereitung zu meinen, ich müsse meine Lauftechnik komplett umstellen.
Aber sei es drum. Mein Experiment ist vorerst beendet. Nicht nur wegen der Verletzung am Schenkel und den Blasen an den Füßen. Sondern vor allem, weil ich das Laufen liebe und es mir dann am besten gefällt, wenn ich stur wie ein Forrest Gump einfach immer weiter laufe, anstatt mir permanent sportphysiologische bis lauftechnische Gedanken machen zu müssen.
So laufe ich wieder in einer für mich „natürlichen“ Technik, die sich schlicht aus mir selbst heraus ergibt, wenn ich mehr oder minder unbewusst einen Fuß vor den anderen setze. Allerdings hat sich mein eigener Laufstil doch ein wenig geändert durch das zweimonatige Training: Ich lande nicht mehr ganz so harsch auf der Ferse, sondern komme mit relativ flachem Fuß auf dem Boden auf.
Steckt darin vielleicht doch noch die Chance auf eine Karriere als Spitzenathlet? …